Wie sprechen die Sprachinselbewohner?
Sprachinseldialekte halten oft an einem älteren Sprachzustand fest, weil sie wegen ihrer räumlichen Trennung vom Herkunftsland dessen dialektale Entwicklung nicht mitgemacht haben und deshalb in Bereichen des Wortschatzes, des Lautstandes oder der Formenlehre (weniger der Syntax) gewisse Altertümlichkeiten konservieren. Dies kann besonders bei herkunftsmäßig homogenen Siedlergruppen der Fall sein oder wenn ein Dialekt in der isolierten Lage einen anderen dominiert und verdrängt, wie das in Pozuzo [5.8.] der Fall war. Hier hat der Dialekt der zahlenmäßig überlegenen und herkunftsmäßig homogeneren Oberinntaler den Dialekt der Rheinländer verdrängt.
Neben diesem musealen Aspekt sind es aber besonders die Innovationen, die den Sprachinseldialekt prägen, etwa in Form von sprachlichen Ausgleichsvorgängen, die bei herkunfts- und altersmäßig nicht ganz einheitlichen Gruppen schon während der Reise zum Zielgebiet einsetzen können. So bemerkte eine heute in Dreizehnlinden lebende Zillertalerin schon auf dem Schiff, daß sie ihre "Zillachtolr Pröckchn" gegenüber den anderen Tirolern in Hinkunft werde "verstecken" müssen. So ein Ausgleich kann in Richtung auf eine Art Verkehrsdialekt gehen oder in Richtung auf die Varietät mit dem jeweils größten Sozialprestige. (In Dreizehnlinden ist das wegen der Herkunft des Koloniegründers Thaler der Unterinntaler Dialekt). Bei Siedlergruppen sehr unterschiedlicher Herkunft kann sich der Ausgleich in Richtung auf die Schriftsprache vollziehen (wie etwa in Carlos Pfannl , Paraguay, mit Siedlern aus Österreich, Böhmen, Baden-Württemberg, Mecklenburg), sofern ein entsprechender Sprachunterricht und eine bewußte Sprachloyalität dem Deutschen gegenüber vorhanden sind.
Am nachhaltigsten wird der Sprachinseldialekt natürlich durch die Innovationen verändert, die sich aus dem Kontakt mit der jeweiligen Landessprache ergeben, aus der man schon vom ersten Moment an Wörter für Währungs- und Maßeinheiten und andere landestypische Bedingungen oder für bisher nicht gekannte Tiere und Pflanzen übernehmen muß. Da die Landessprache für die Ausgewanderten oft die alleinige Schul- und Lesesprache ist, wird sie auch zum Lieferanten für den modernen Wortschatz aus Kultur, Politik und Technik und schließlich zum Kommunikationsmedium in allen öffentlichen Domänen. Dadurch wird die geistige Anpassung der Sprecher an die Kontaktsprache mit der Zeit immer größer, und man fängt an, aus ihr in den Dialekt zu "übersetzen". (Beispiel einer Uhrzeitangabe in der Colônia Tirol , Brasilien: Fahlen finf Minutn für Sechse "Fehlen fünf Minuten für sechs", was syntaktisch der grammatischen Vorlage des Portugiesischen genau nachgeformt ist: Faltam cinco minutos para seis ).
Wie wenig man sich letzten Endes trotz des oft erklärten Willens zum Festhalten an der sprachlichen Tradition der prägenden Kraft des neuen Lebensraumes entziehen kann, der einem längst zur Heimat geworden ist, möge durch das folgende Beispiel aus der Sprachmimik belegt werden, das in der Colônia Tirol zu beobachten ist: Während wir gewohnt sind, ein "Nein!" mit Kopfschütteln zu begleiten, gibt es in Brasilien Indianer, die ein "Nein" körpersprachlich ganz anders zum Ausdruck bringen, nämlich dadurch, "daß sie den Mund spitzen, die Augen schließen und die Nase rümpfen." Es ist nun nicht schwer zu erraten, wie die Nein-Geste bei den Tirolerstämmigen aussieht. Richtig: Sie spitzen den Mund, schließen die Augen, rümpfen die Nase - und schütteln den Kopf!